Im Juni 2024 verabschiedete die Europäische Union (EU) ein bahnbrechendes Gesetz, das große Unternehmen dazu verpflichtet, Menschenrechte und Umwelt in ihren globalen Wertschöpfungsketten zu achten. Außerdem wurden neue Pläne zur Begrenzung der CO2-Emissionen eingeführt.
Das Gesetz, bekannt als Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD, vereinfacht: EU-Lieferkettengesetz), ist ein Meilenstein auf dem Weg von freiwilligen Standards hin zu einer gesetzlichen Rechenschaftspflicht. Das Gesetz war Teil des ‚European Green Deal‘, dem Vorzeigeprojekt von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, das die EU bis 2050 nachhaltiger und klimaneutral machen soll.
Ein Jahr später hat von der Leyen eine Kehrtwende vollzogen. Unter dem Deckmantel der „Vereinfachung“ hat sie einen weitreichenden „Omnibus“-Vorschlag vorgelegt, der das EU-Lieferkettengesetz seiner wichtigsten Elemente berauben würde. Dieser Vorschlag steht im Widerspruch zu von der Leyens früherem Versprechen, den Inhalt dieses Gesetzes zu “erhalten“. Er würde die zivilrechtliche Haftung von Unternehmen streichen, die Sorgfaltspflicht für die gesamte Lieferkette abschaffen und die Umsetzung der Klimaschutzpläne von Unternehmen schwächen. Lobbyverbände der Industrie, die die EU-Nachhaltigkeitspolitik als bürokratisches Monster diffamieren, haben offensichtlich eine wichtige Rolle bei diesem Vorstoß gespielt.
Trotz alledem wird die Stadt Aachen von der Leyen am 29. Mai mit dem renommierten Karlspreis auszeichnen, unter anderem für ihre „Impulse zum Green Deal“. Die Ironie: Sie demontiert gerade eine der wichtigsten Errungenschaften des Green Deals.
Die Deregulierung könnte zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen. Schwere Menschenrechtsverletzungen - wie lebensbedrohliche Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit und Umweltverschmutzung - sind in globalen Lieferketten weit verbreitet. Aus diesem Grund haben sich führende Vertreter*innen der Betroffenenen, Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Unternehmen jahrelang für das EU-Lieferkettengesetz eingesetzt.
Um dem Karlspreis und seiner Vision einer politischen Führungsrolle gerecht zu werden, muss von der Leyen ihren Kurs ändern. Ein zivilgesellschaftliches Bündnis, die Iniative Lieferkettengesetz, wird in Aachen protestieren und genau das einfordern. Die Beibehaltung des ursprünglichen EU-Lieferkettengesetzes würde zeigen, dass von der Leyen die ihm zugrundeliegenden Werte und Ziele nicht vergessen hat - und dass sie immer noch entschlossen ist, Europa in eine nachhaltigere, gerechtere Zukunft zu führen.